Das Friedensgebet vor dem Haupteingangstor am Stationierungsgelände findet erstmals im Aug.1983 statt. Ein drei Meter hohes Friedenskreuz wird errichtet. Bis 1995 findet dort regelmäßig an jedem Sonntagnachmittag ein ökumenisches Friedensgebet statt. Im Laufe der Jahre entwickelt sich eine eigene Gemeinde am Friedenskreuz. Oft kommt internationaler Besuch, z.B. von anderen CM-Stationierungsorten: Comiso, Sizilien; Greenham Common, England; und aus Detroit, wo CM-Teile hergestellt werden. UCC Partnerkirchengemeinden in den USA (Seattle, Denver) ermöglichen eine Jugendbegegnung. Durch Besucher aus den Philippinen, Kanada, Australien und vielen europäischen Ländern wird das Friedensgebet zu einem Ort internationaler Solidarität und Friedensarbeit.

Friedensarbeit im Hunsrück

Vortrag von Renate Fuchs, gehalten auf Einladung bei einer friedenspolitischen Tagung in der ...

Beschreibung des sonntäglichen Friedensgebetes am Stationierungsort Hasselbach

Vortrag von Renate Fuchs, gehalten auf Einladung bei einer friedenspolitischen Tagung in der Evangelischen Akademie Iserlohn im November 1988

Zwei Aussagen anderer Menschen möchte ich meinen Ausführungen vorweg schicken:
Hildegard Goss-Mayr und Jean Goss (aus einem Rundbrief an Freunde)
"Und dennoch scheint es uns, als hätte gerade diese "Zivilisation zum Tode" zu einem neuen Aufbruch der in der Tiefe des Menschen verborgenen Werte geführt: zu neuem Leben aus der Kraft der Wahrheit, zu Vergebung, zur größeren Einigkeit und Liebe. Man erfährt davon nur selten in den Medien, doch unweigerlich wird eine Kraft spürbar, die sich Zerstörung und Unrecht widersetzt und in vielerlei Gestalt zu neuen Seinsweisen und Beziehungen führt."

Dorothee Sölle (innerhalb einer Fernseh-Sendung)
"Die dichtesten und tiefsten Gebete, die ich in den letzten Jahren miterleben konnte, fanden an den Toren der "Kathedralen des Todes" statt, in Mutlangen, in Wackersdorf, im Hunsrück ..."

Was geschieht bei uns im Hunsrück?
Seit Herbst 1983 kommen an jedem Sonntagnachmittag Menschen aus der Umgebung, aus anderen, oftmals sehr weit entfernten Orten der Bundesrepublik, in zunehmendem Maße auch aus anderen Ländern der Erde, zu einem Gebet für den Frieden vor dem Eingangstor zu einem Atomwaffendepot zusammen. Sie versammeln sich unter dem dort aufgestellten Friedenskreuz.
Aus einem anfänglich noch recht kleinen und überschaubaren Häuflein Menschen, die an diesen Ort gekommen waren um ihr NEIN zur weiteren Aufrüstung auszudrücken, nur zaghaft dem Gefühl folgend, dass da, wo so viel Gewalt und Todeskultur angesiedelt wird, das Wort von der christlichen Hoffnung, die Botschaft des Evangeliums ausgesprochen werden sollte, ja ausgesprochen werden muss, - aus diesem Häuflein Menschen ist in den Jahren eine große Gebetsgemeinschaft, eine "Gemeinde unter dem Friedenskreuz", ein Wort von Pfarrer August Dahl, geworden.
Natürlich ist es immer nur ein Teil dieser großen, sich verbunden wissenden Gemeinschaft, der dann wirklich, real, in dem sonntäglichen Halbrund steht. Die Zahl der Teilnehmer schwankt, mal sind wir 50/60, mal an die 200 Menschen.
Dem Hinzukommenden, zumal wenn er sich ein bisschen verspätet hat, verrät schon der Blick auf die mehr oder weniger lange Autoschlange entlang des Straßenrandes am Wald, gegenüber vom Eingangtor, ob es heute ein "großes" oder eher ein "kleines" Gebet werden wird. In der Reihe abgestellte Busse sprechen da natürlich eine ganz klare Sprache!
Winterliches Schneetreiben, klirrende Kälte, wie am vergangenen Sonntag, lassen die Schar schon einmal ganz klein werden. 20/25 Menschen, vorwiegend Hunsrücker/innen, waren aber doch zusammen gekommen ...

Ich will ein wenig vom Innersten dieser Zusammenkünfte sprechen, von dem was mich persönlich schon so lange beglückt, mich trägt, mich beschenkt.
Ähnlich wie ich es einem so begnadeten Ort wie Taize gegenüber empfinde, geht es mir mit dem Friedensgebet.
Hier ist etwas entstanden, das ich ohne Zögern als ein kostbares Geschenk, ja ein Juwel für die Kirche, für unser Land, für die Welt bezeichnen möchte. Was veranlasst mich zu dieser euphorisch anmutenden Einschätzung?
Ein paar Stichworte will ich nennen, die ich dann etwas näher erläutern möchte:
Wir sind eine Ökumenische Lerngemeinschaft geworden /
Die Welt in den Blick bekommen / Konkrete Liebe, konkreten Beistand erfahren /
ein Feld zum Einüben in Toleranz, Vertrauen, Mitmenschlichkeit, Rücksichtnahme, Ehrlichkeit ist entstanden / es geschieht Ermutigung zur Gewaltfreiheit

Ökumenische Lerngemeinschaft
Jeden Sonntag ist es eine andere Person oder Gruppe, die das Gebet gestaltet.
Es ist fast immer das gleiche Zeremoniell: aus dem lose zusammenstehenden, meist heftig schwatzenden, von vielen "Erkennungs-Hallos" (du bist heute auch da, wie schön!) und vielen lieben Umarmungen durchwobenen Menschen- Wirrwarr, schält sich schließlich eine Person heraus und fordert freundlich, aber mit Nachdruck auf, nun doch einen schönen Halbkreis zu bilden, "offen zum Tor hin, denn.." und die Erklärung wird für alle hörbar gleich mitgeliefert: "..wir wollen die Soldaten, die Wachleute, alle Menschen die jetzt, während wir hier Gottesdienst feiern, auf der anderen Seite der Mauer sind, nicht ausschließen. Wir wollen ihnen symbolisch, durch die Öffnung unseres Kreises zu verstehen geben, dass wir sie nicht ausgrenzen, sondern am allerliebsten auch leiblich mit hinein nehmen wollen in unsere Runde".
Ist der Halbkreis dann zustande gekommen, ist es nicht schwer die Stelle im Kreis auszumachen wo die heutigen "Liturgen" stehen: etwas angespannte, vom Ernst des "heute in der Leitungsfunktion Stehens" geprägte Gesichter, Zettel, Bücher in Händen, eine Gitarre, eine Flöte, eine Panflöte ...
Die Vorstellung der Gruppe zu Beginn hilft bei den Anwesenden eine innere Bereitschaft zum Mitgehen zu schaffen: eine evangelische Gruppe, eine katholische, eine friedenskirchliche, eine die ganz von der traditionellen Gemeinde her kommt, eine ökumenisch arbeitende, eine mehr suchende, eine schon etwas sichere mit ganz konkreten Erfahrungsschritten, von denen sie mitteilen will. Eine Gruppe aus bekannten größeren Bewegungen und Gruppierungen in unserem Land: Pax Christi, Eirene, Versöhnungsbund, Ordensleute für den Frieden, Gossner Mission, Frauen unterwegs für das Leben
Die Gestaltung des Gebetes ist ganz unterschiedlich, jeden Sonntag neu und überraschend: Mal ganz traditionell geprägt, mit Elementen aus den Liturgien der Kirchen durchzogen, mit einem Liedgut, das denjenigen unter uns, die schon lange nicht mehr in die Gottesdienste ihrer Gemeinde zuhause gehen können, schwer, den dort Praktizierenden, den "Kirchentreuen" hingegen um so leichter von den Lippen kommt..
Mal ist das Gebet ganz politisch, mit vielen Texten, die es die Gruppe drängt weiterzugeben: aufrüttelnde Texte, schwere Texte, die Weltwirtschaftsordnung, Schuldenkrise, Südafrika-Problematik, Lateinamerika, Rüstungsfragen, Ökologiefragen betreffend, um einige zu nennen ...

Mal betritt eine Gruppe "Neuland": Rollenspiel, Pantomime, neue Lieder. Die Anwesenden sind nicht primär Hörende, werden einbezogen in symbolische Gesten: Samenkörner legen, Licht weiterschenken, sich gegenseitig berühren, tanzen, sich gegenseitig segnen. Es gibt
aktuelle Gebete, die das Tagesgeschehen aufnehmen, Gedenktage thematisieren, wach und sensibel machen für das, was jetzt gerade ansteht

Die Welt in den Blick bekommen
durch Vertreter aus aller Welt, die uns besuchen!
Aus allen Kontinenten, aus vielen, vielen Ländern durften wir Menschen in unserer Mitte begrüßen, ihnen zuhören, mit ihnen beten. Menschen von ganz ferne: von Australien, Neuseeland, den Philippinen, aus Afrika, Lateinamerika, Mittelamerika, Kanada, den USA, der Sowjetunion. Menschen aus unserer geographischen Nähe: englische, französische, holländische, italienische, ungarische, schweizerische Geschwister.
Schwestern und Brüder aus der DDR, alte Menschen, junge Menschen, - alle halfen und helfen den Blick zu öffnen für die ganze große vielfältige Menschheitsfamilie.
Und hinter all diesen Menschen stehen ganz konkrete Sorgen, Hoffnungen, Wünsche. Nicht nur ihre ganz persönlichen, sondern auch die der Länder und Menschen dort, aus denen sie kommen.
Die Interrelation, die Verflechtung, der drei großen Themenbereiche des Konziliaren Prozesses: Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung - hier beim gemeinsamen Sprechen, Suchen, Beten, sich Hoffnung schenken, wird sie für die Beteiligten ganz transparent.

Konkrete Liebe, konkreten Beistand erfahren
Gemeinde unter dem Kreuz sein heißt auch: voneinander wissen wollen, Interesse füreinander zeigen, einander beistehen wollen. Es hat sich ein kleines Ritual am Ende eines jeden Friedensgebetes entwickelt: Wir wollen nicht einfach auseinanderstieben, uns verlieren.
Wir sagen einander woher wir kommen, wer wir sind, was uns bedrückt. Wir "feiern" einander, indem wir uns mit Klatschen begrüßen! (Im Winter ist es immer schön, wenn wir Viele sind, denn viel Klatschen macht warm!) Ankündigungen werden gemacht und so wissen wir, wer z.B. seinen Blockadeprozess wann und wo hat und sich dort unterstützende Menschen wünscht. (Dies geschieht sehr oft durch Singen im Gerichtssaal, oder Blumen werden mitgebracht, nicht nur für die Blockierer/innen, sondern auch für die Tische des Richters und des Staatsanwaltes; einfach eine Kultur der Freundlichkeit herstellen in diesem Raum..) Wir wissen wer im Gefängnis sitzt und ermutigende Post braucht, wer für eine Asylantenfamilie die er betreut noch einen Küchentisch oder Staubsauger braucht. Oder Asylanten kommen selbst mit ihren Anliegen. Wir erfahren bei wem sich hunsrück-interessierter Besuch angesagt hat (und das heißt, am militarisierten Hunsrück interessierter Besuch), den er informieren soll und dem er sich alleine nicht gewachsen fühlt und wo er sich nun Begleitung erbittet. ("Ein ganzer Bus voll!" eine Gemeinde, eine politische Gruppierung)
Wir erfahren voneinander von Freude und Leid, essen miteinander mitgebrachte Hochzeitskuchenreste, genießen den nun im Kreis stehenden Blumenschmuck aus der Kirche. Wir bestaunen ein Neugeborenes, von dessen Kommen wir schon lange wussten, ist es doch sozusagen in unserer Runde schon viele Monate immer deutlicher sichtbar herangewachsen. Wir freuen uns über erste tapsige Schritte die ein Kleinkind, just beim Friedensgebet, vom Arm des Vaters in den Kreis tut. Wir trauern mit Freunden, die sich mit verweinten Gesichtern und in dunkler Trauerkleidung zu uns stellen und den Tod eines nahen Menschen beklagen und uns in ihren Schmerz hineinholen.

Einüben in Toleranz, Vertrauen, Mitmenschlichkeit, Rücksichtnahme, Ehrlichkeit
Wir nehmen einander vertrauensvoll an, die "Liturgen" des jeweiligen Sonntags, mit all den Überraschungen die sie uns mitbringen. Wir lernen uns bisher fremde gedankliche Wege zu beschreiten, lernen uns bisher fremde Gebetsweisen und – formen als Schätze aus dem reichen Traditionsschatz der Kirchen zu sehen (und manchmal auch ganz schnell als eine uns entsprechende Form zu lieben). Wir lernen sensibel und geduldig zu sein, wenn Unsicherheit, Lampenfieber, Ungeschicktheit in der Sprache da sind. (Eine Konfirmandengruppe z.B. gestaltete ihr erstes Friedensgebet und ist so nervös und hastig und "rast" durch das Gebet.) Wir lernen ehrlich zu sein, fragen nach, wenn wir etwas nicht verstanden haben oder es uns als überzeichnet dargestellt erscheint. Einmal wurde mir und meinem Mann, nach einem von uns gestalteten Friedensgebet von einem anwesenden Pfarrer gesagt, dass heute unsere Vorbereitung wohl unüberlegt, gar "daneben" gewesen sei. "Der Text war Stuss!" sagte er wörtlich. In einer kleinen Gesprächsgruppe haben wir uns dann lange gemeinsam um gegenseitiges Verstehen bemüht.
Für mich sehr eindrucksvoll war auch der Moment, als einmal im freien Fürbitte-Gebet eine Fürbitte nicht mit dem Kyrie-Ruf aus der Runde bekräftigt werden konnte. Da schreit ein Mensch seine Bitterkeit hinaus und wünscht sich einen rächenden Gott, einen der hart ins Gericht geht mit denen hinter der Mauer und denen, die diese Mauer ermöglichten. Verstehen und Mitfühlen von Zorn und Wut sind da, aber Gott als "Rächer" bemühen??

Ermutigung zu Gewaltfreiheit
Gewaltfreiheit. Sie ist das zentrale Thema, das so viele Gebete durchzieht. Der "andere" Weg, Jesu Weg, unser Leben als "neue" Menschen, die dem alten Adam abschwören und Menschen der Liebe, des Verzeihens, der Dankbarkeit werden wollen.
Immer und immer wieder Verse aus der Bergpredigt, aus dem Epheser-Brief: "Zieht die Rüstung Gottes an.., alttestamentliche Lesungen aus Jesaja, "Visionen"..
Immer wieder Worte oder Lebensbeschreibungen Martin Luther Kings, Mahatma Ghandis,
Dietrich Bonhoeffers, Paul Schneiders..
Immer wieder das Franziskusgebet: Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens..
Ausfahrenden und einfahrenden Autos oder Bussen mit amerikanischen Soldaten, die gerade zur Zeit des Gebetes oftmals in erstaunlich großer Anzahl auftauchen, begegnen wir mit Höflichkeit. Wir rücken zur Seite, jemand gibt "Schupo-Hilfe" mit Einwinken, -eine harte Proben für uns alle, wenn ein Fahrer direkt Kurs auf unseren Kreis nimmt, die angebotene Gasse verschmäht, volle freie Fahrt für sich durchsetzen will. Immer wieder das Gespräch mit den Soldaten suchen: "nicht die Person bekämpfen wir, sondern das Unrecht. Ihr sollt das wissen!"

Ein paar Worte noch zu den Symbolen, zu den "Verstehenshilfen", wie sie immer wieder für die Zeit des Gebetes in die Mitte unseres Kreises gelegt werden.
(Sind wir doch ganz Mensch, dürfen sehen, befühlen, riechen, schmecken, sind wir doch nicht nur "Ohr"!)

Eine PC Gruppe, gerade von einem Besuch in die Sowjetunion zurückgekehrt, stellt eine hölzerne Essschale mit hölzernem Essbesteck in die Mitte. Es ist das Abschiedsgeschenk dort neu gewonnener russischer Freunde. "Russen sind Menschen" sagen sie, "leibhafte, essende, liebe Geschwister?" Das Geschirr hilft uns, sie ganz nahe zu uns zu holen.
(Hinter der Mauer stehen die entsetzlichen Waffen, die auf sie gerichtet sind!)

Eine Gruppe legt ein großes verschmutztes Leintuch in den Kreis. Ein, an eine über-dimensionale Atomrakete angehefteter sterbender Christus ist darauf abgebildet. Ein Sprecher erklärt: "Mit diesem Transparent kommen wir gerade aus Wackersdorf. Dieser Christus und wir sind unter den Beschuss der Wasserwerfer geraten ..."

Eine Gruppe thematisiert das Sterben der Robben, die verseuchte Nordsee.
Im Kreis liegt ein Strandlaken, darauf liegen Muscheln, Algen, Steine. Strandgut, gesammelt in vielen glücklichen Urlaubstagen! Jeder nimmt eine Muschel mit nach Hause, als Hilfe zur persönlichen Inpflichtnahme.

Frauen von "Unterwegs für das Leben" heften ihr Symbol, eine weiße Mullwindel, die sie beim Marsch nach Bonn um den Hals tragen, an das Friedenskreuz. Dort hängt sie lange Zeit.

Biblische, christliche Symbole: eine Osterkerze, der Adventskranz, Kreuze, immer wieder der Regenbogen, die Taube, Blumen, Blumen, (eine Rose blüht aus einem Stacheldraht), ein Garbenstrauß, Brot ...

Einmal stehen Tiere bei uns. Ein umherziehender junger Mann hat sie mitgebracht: einen Esel, zwei Ziegen, Hunde. Nicht religiös sei er, die Kirche interessiere ihn nicht, meint er, aber dass der Schöpfung Gewalt angetan werde, das sehe er deutlich. Und so hätte er sich entschlossen, wenigstens zu einigen Tieren gut zu sein.