Legende

Rüstungskontrollverhandlungen

26. 5. 1972 ABM-Vertrag (Anti-Ballistic-Missiles), erster Vertrag der USA und UdSSR zur nuklearen Rüstungskontrolle; Nov.1972 Beginn der SALT-II-Gespräche (Strategic Arms Limitation Talks) in Genf über die Beschränkung von Nuklearwaffen und Trägersystemen. Juni 1973 Amerikanisch-Sowjetisches Abkommen zur Verhinderung eines Atomkriegs. 1974 Genfer Abrüstungskonferenz: Beitritt der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Salt-II-Verhandlungen werden beschlossen. 1976 Genfer Abrüstungskonferenz: Keine konkreten Resultate bei den SALT-II-Verhandlungen. 1977 Verlängerung von SALT I.

Nato – Doppelbeschluss

Bezeichnung für den am 12.12.1979 vom NATO-Rat verabschiedeten Beschluss über die Stationierung neuer bodengestützter nuklearer Mittelstreckenwaffen in Europa (›Nachrüstung‹), als Gegengewicht zu den bereits in den westlichen Ländern des Warschauer Pakts installierten neuen sowjetischen Mittelstreckensystemen (SS-20).

Gleichzeitig besteht das Angebot an die UdSSR, bis zum vorgesehenen Beginn der Stationierung, Ende 1983, über Mittelstreckenwaffen in Europa zu verhandeln. Das Ergebnis dieser Verhandlungen (möglicher Abbau der SS-20), soll über die Stationierung der NATO-Mittelstreckenwaffen entscheiden.

Die Verhandlungen beginnen im Jahr 1981 und scheitern Ende 1983. Der Deutsche Bundestag stimmt am 22.11.1983 der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden zu. Vorgesehen sind 108 Pershing II-Raketen in Mutlangen und Heilbronn und 96 Cruise-Missiles-Marschflugkörper in Hasselbach. (Ankunft der ersten CM hier im Hunsrück Januar 1986.)

Cruise Missiles

Cruise Missiles, zu deutsch Marschflugkörper, sind hocheffektive Raketen, die von U-Booten, Schiffen oder von Land aus abgeschossen werden können. Sie sind unbemannt und fliegen mit einer Höhe von 15 bis 100 Metern so niedrig, dass sie kaum auf Radarschirmen zu sehen sind. Auf Grund ihrer geringen Hitzeausstrahlung sind sie auch durch Infrarot-Aufzeichnungen nur schwer erkennbar.

Cruise Missiles, die pro Stück rund 600 000 Dollar kosten, gelten beim US-Verteidigungsministerium wegen ihrer großen Reichweite von bis zu 1600 Kilometern und ihrer Treffgenauigkeit (angeblich verfehlt sie Ziele höchstens um zehn Meter) als beliebteste Waffe. Die bekannteste Cruise Missile ist die Tomahawk, die zum ersten Mal 1991 im Golfkrieg eingesetzt wird. Die Tomahawk hat eine Länge von 5,56 Metern, eine Flügelspannweite von 2,67 Meter, wiegt 1300 Kilogramm und erreicht eine Geschwindigkeit von knapp 900 km/h. Die Lenkwaffe kann mit konventionellen oder atomaren Sprengköpfen bestückt werden. Neben den USA besitzt auch Großbritannien seit 1995 Tomahawks. Ihr Vorläufer ist die V-1, die 1944 von Nazi-Deutschland eingesetzt wurde, um London und Antwerpen anzugreifen.

Infolge des Nato-Doppelbeschlusses sollen in den 1980er Jahren 96 Cruise Missiles in dafür extra atombombensicher gebauten Bunkern in der Raketenstellung Pydna bei Hasselbach stationiert werden. Bis Inkrafttreten des INF-Vertrages sind 62 Raketen im Hunsrück angekommen, die bis Sept. 1990 wieder abgezogen werden.

Kalter Krieg

Der Kalte Krieg bezeichnet den Systemkonflikt, den die Westmächte unter Führung der USA und der Ostblock unter Führung der Sowjetunion von 1945 bis 1990 mit allen verfügbaren Mitteln, aber unterhalb der Schwelle eines offenen Krieges austragen. Dabei werden jahrzehntelang auf beiden Seiten ökonomische, politische, propagandistische und militärische Anstrengungen unternommen, bis hin zu Stellvertreterkriegen, um den Einfluss des jeweiligen anderen Lagers weltweit einzudämmen oder zurückzudrängen.

Der Konkurrenzkampf beider Systeme zeigt sich vor allem an ihrem Wettrüsten, das in eine atomare Aufrüstung auf beiden Seiten mündet. Der Aufbau dieses massiven Zerstörungspotentials, mit dem die gesamte Erde vernichtet werden kann, gründet in der Annahme, dass auch nach einem Angriff eine Zweitschlagskapazität vorhanden sein muss, um den Gegner vernichten zu können.

Die im Hunsrück stationierten Waffen bilden einen Teil dieser Zweitschlagskapazität.

Die Konkurrenz beider Systeme erstreckt sich aber auch auf die sonstige Entwicklung in Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie (z.B. die der Raumfahrtprogramme beider Supermächte), auch in Kultur und Sport.

Aktionen der Friedensbewegung bundesweit

Der „Krefelder Appell“ fordert den Verzicht auf die Nachrüstung. Viele Menschen schließen sich der Friedensbewegung an. Vier Millionen unterzeichnen den Appell. Bei Großdemonstrationen versammeln sich mehrere Hunderttausende.

Die Bundesdeutsche Friedensbewegung entwickelt eigene Koordinierungsstrukturen.

Ziviler Ungehorsam

Ziviler Ungehorsam ist eine Aktionsform, die über Information und Demonstration hinausgeht. Diese Form des Gewaltfreien Widerstands beinhaltet das bewusste Übertreten von Gesetzen und das Inkaufnehmen entsprechender Sanktionen. Die Manöverbehinderungen am Simmerner Bahnhof, das Veröffentlichen des Lageplans durch das HF, die Baukranbesetzung durch die Frauen des Frauenwiderstandscamps, das Eindringen in das Stationierungsgelände, die Sitzblockaden, auch die Ankettaktion am Wappen des Flugplatzes Hahn Weihnachten 1983 sind Aktionen des Zivilen Ungehorsams.

Der Hunsrück als Stationierungsort

Durch einen Bericht im Magazin „stern“ wird der Hunsrück als möglicher Stationierungsort bekannt.

Die Friedensinitiative Rhein-Hunsrück formiert sich. Zu einer ersten Spontandemo kommen 120 Menschen. Offizielle Informationen über die Stationierung unterbleiben lange. Die FI recherchiert nähere Einzelheiten und informiert die Bevölkerung.

Kirchentage und Konziliarer Prozess

Angesichts des Rüstungswahns startet der Weltrat der Kirchen (ÖRK) 1983 einen Prozess, einen „Lernweg“, der die Christen zur Arbeit an Fragen der Gerechtigkeit, des Friedens und der Bewahrung der Schöpfung aufruft. Das führt weltweit zu großem Engagement an der Kirchenbasis. In Deutschland setzen Ev. Kirchentage Zeichen (1983 lila Kopftücher, 1985 C.F.v.Weizsäcker: „Die Zeit drängt“).

Am Stationierungsort kommen in den Jahren 1985 - 1987 an Pfingsten „Ordensleute für den Frieden“ zu einem mehrtägigen „Friedenskapitel“ zusammen.

Frauen aus der Region feiern in den Jahren 1985 – 1989 den internationalen Weltgebetstagsgottesdienst der Frauen auch am Stationierungsort.

Pax Christi gründet eine Basisgruppe Hunsrück. Church and Peace entsendet aus den USA einen Friedensarbeiter. Er knüpft gute Gesprächskontakte zum amerikanischen Militär. Begegnungen, auch mit ranghohen Militärs, werden möglich.

In den Jahren 1988 - 1990 gehen viele zweisprachig verfasste „leaflets“ (Flugblätter) über die Mauer zu den Soldaten.

Bunker im Goßberg

Trotz Entspannung und Abrüstung beginnt der Bau eines mehrstöckigen unterirdischen atombombensicheren Bunkers zur Aufnahme einer „Datenauswertestation“ der US-amerikanischen Streitkräfte. Der Bunker, 43 m lang und 38 m breit, ist 6 Stockwerke tief und kostet 42 Millionen DM.

Wiederum informiert die FI die Bevölkerung und protestiert vor Ort. Ein großes Holzkreuz wird an die Baugrube gestellt und blockierende Menschen behindern die Ausschachtungsarbeiten. Das Kreuz muss an den Rand weichen. Der Bunker wird fertig gebaut und umzäunt, aber nie in Betrieb genommen.

Hunsrücker Friedenswochen

Die jährlich bundesweit begangene ökumenische Friedensdekade bietet auch im Hunsrück eine gute Möglichkeit für Aktion und Information. Viele interessante Veranstaltungen mit oft namhaften Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Kirche, Kunst und Kultur finden statt. Die Bevölkerung ist zu Schweigekreisen, Mahnwachen und Friedensgottesdiensten eingeladen.

Ostermärsche im Hunsrück

Seit der ersten Oster-Friedensfahrt 1981 gibt es in den Folgejahren regelmäßig Ostermärsche zu zentralen Militärstandorten. Die Teilnehmerzahl steigt kontinuierlich. An Ostern 1986 marschieren 4000 Menschen zum Flugplatz Hahn. Bedeutende Redner kommen in den Hunsrück: A. Mechtersheimer, Major Prieß vom „Darmstädter Signal“ u.a.

„Hunsrück Forum“, Zeitschrift für Demokratie und Frieden

Mitglieder der Friedensbewegung gründen 1983 das Hunsrück-Forum (HF), eine unabhängige Zeitschrift, um die Bevölkerung über die Stationierungspläne aufzuklären. Das HF findet rasch überregionale Verbreitung und erscheint bis November 1995 in insgesamt 64 Ausgaben. Die Redaktion ist mehrmals starken Repressalien ausgesetzt.

Die Oberstaatsanwaltschaft Koblenz und die Generalbundesanwaltschaft ermitteln u.a. wegen des Verdachts des Offenbarens von Staatsgeheimnissen. Die Abbildung der Lageplan-Skizze des Stationierungortes, die an anderen Stellen, z.B. im „stern“, schon längst veröffentlicht war, ist das Delikt.

Nach mehreren Monaten muss das Ermittlungsverfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt werden.

Organisation der Friedensbewegung im Hunsrück

Friedensstammtische entstehen, zuerst in Holzbach und Kastellaun, dann in Simmern, Kirchberg, Rheinböllen, Emmelshausen, Stromberg. Man trifft sich öffentlich und vor Ort. Die Hunsrücker Friedensbewegung bekommt viele prägnante Gesichter. Im Frühjahr 1984 wird das Friedensbüro in Kirchberg eingerichtet und im November 1984 der „Verein für friedenspolitische und demokratische Bildung“ gegründet. Das Friedensbüro leistet regionale und bundesweite Koordinierungsarbeit. Im Sommer 1986 zieht das Friedensbüro in größere Räume nach Kastellaun. Ab Juni 1984 erscheint monatlich das Friedens Info mit aktuellen Informationen und Terminen.

Widerstand der Gemeinden

Im Februar 1984 sammeln Beller Frauen Unterschriften zu einem offenen Brief an Gemeinderäte und Bürgermeister, der diese auffordert, sich in der anstehenden Gemeinderatssitzung mit der geplanten NATO-Baumaßnahme zu befassen. 65% der Wahlberechtigten der Großgemeinde Bell sprechen sich bei einer Bürgerbefragung gegen die Baumaßnahme aus. Im Rahmen eines öffentlichen Anhörungsverfahrens lehnen die betroffenen Gemeinden die geplante Baumaßnahme ab. Die zuständigen Behörden leiten die Ablehnung an das Verteidigungsministerium weiter. Bereits am 13.4.1984 verlautet die Antwort des Ministers: „Alle Einwände und die Beschlüsse der Gemeinderäte von Bell und Hasselbach sind nichtig.“ Es wird gebaut!

Einschüchterungsversuche

Anfangs wird die Friedensinitiative misstrauisch beobachtet, von der Bevölkerung und der Polizei. Beispiele: Die Polizei ruft Eltern von Friedensstammtischbesuchern an und fragt nach, ob sie wüssten, wo ihre Kinder sich aufhalten. Polizisten kommen in Zivil zu den Stammtischtreffen und fertigen danach Berichte für ihre Vorgesetzten an. Bekannte Mitglieder der Friedensinitiativen werden beschattet.

Frauenwiderstand im Hunsrück

Frauen aus der ganzen BRD und West-Berlin organisieren 1983 das erste Frauenwiderstandscamp im Hunsrück (Reckershausen), mit dem Ziel eigene Widerstandsformen zu entwickeln und den Zusammenhang zwischen Militarismus und alltäglicher Gewalt gegen Frauen herauszustellen. Weitere Camps folgen 1984, 1985 und 1990. Fantasievolle und oft spektakuläre Aktionen haben nicht selten offene Anfeindungen und strafrechtliche Ermittlungen zur Folge. Daneben gibt es aber auch immer wieder Solidarität und Unterstützung von Menschen aus der Region.

Im Aug. 1984 besetzen 18 Frauen einen Baukran auf dem Stationierungsgelände. Im Aug. 1985 beziehen ca. 40 Frauen Stellung im Wald. Hieraus entwickelt sich eine mehrmonatige Dauermahnwache vor dem Stationierungsgelände. Zwei Frauen halten durch bis über die Wintermonate.

Die Wurzeln von gegenwärtigen Frauenprojekten im Hunsrück reichen teilweise zurück bis ins Frauenwiderstandscamp.

Friedensgebet am Stationierungsort

Das Friedensgebet vor dem Haupteingangstor am Stationierungsgelände findet erstmals im Aug.1983 statt. Ein drei Meter hohes Friedenskreuz wird errichtet. Bis 1995 findet dort regelmäßig an jedem Sonntagnachmittag ein ökumenisches Friedensgebet statt. Im Laufe der Jahre entwickelt sich eine eigene Gemeinde am Friedenskreuz. Oft kommt internationaler Besuch, z.B. von anderen CM-Stationierungsorten: Comiso, Sizilien; Greenham Common, England; und aus Detroit, wo CM-Teile hergestellt werden. UCC Partnerkirchengemeinden in den USA (Seattle, Denver) ermöglichen eine Jugendbegegnung. Durch Besucher aus den Philippinen, Kanada, Australien und vielen europäischen Ländern wird das Friedensgebet zu einem Ort internationaler Solidarität und Friedensarbeit.

Zivilcourage

Über Weihnachten 1983 ketten sich drei Mitglieder der Hunsrücker Friedensbewegung an einen Betonsockel an, nahe dem Flugplatz Hahn, an der B 327. Sie wollen auf das darauf abgebildete Wappen des dort stationierten 50. Taktischen Jagdgeschwaders aufmerksam machen. Es zeigt in seiner Mitte einen großen Atompilz.

Das aktive Mitarbeiten in der Friedensbewegung verlangt viel Mut und die Bereitschaft, negative Konsequenzen zu tragen. So bekommt eine selbstständige Schreinerin keine öffentlichen Aufträge mehr. Zivilangestellte bei der Bundeswehr werden angefeindet. Polizeiliche Hausdurchsuchungen und Ermittlungsverfahren werden als Mittel zur Einschüchterung und Disziplinierung eingesetzt. Beruflicher Druck wird ausgeübt, indem z.B. Arbeits-Verträge nicht verlängert, oder entsprechende Dienstanweisungen erlassen werden, usw.

Friedensacker

Der Friedensacker mit 96 Holzkreuzen entsteht zu Ostern 1984 an der B327 am Stationierungsgelände auf einem Acker, den eine Beller Bauernfamilie zur Verfügung stellt. Hunsrücker werden „Paten“ der Kreuze. Eine Initiative der Ev. Kirche im Rheinland „Eure Kreuze werden unsere Kreuze“ gesellt ab Sommer 1986 viele „auswärtige Paten“ aus dem gesamten Bundesgebiet hinzu. Manche auswärtige Paten bringen ihr Kreuz für einige Zeit in ihre Heimatgemeinde. Das Wissen um die 96 Raketen verbreitet sich so durch das Kreuz. In vielfacher Weise wird ein schlichtes Holzkreuz zum Symbol des christlichen Widerstands im Hunsrück. So auch durch die Arbeiten des Aktionskünstlers B. Eitelgörge. Er beginnt zu Ostern 1984 an mehreren Orten im Hunsrück, weit sichtbar auf Erdhügeln, jeweils drei Kreuze unter dem Motto „Golgatha ist überall“ aufzustellen.

Blockaden und Aufrufe zur Blockade

Dreimal werden die Tore zum Stationierungsgelände blockiert, im Nov. 1986, im Mai 1987 und im Okt. 1987. Den gewaltfreien Blockaden folgt eine Prozesswelle, die im Frühjahr 1987 beim Amtsgericht Simmern beginnt, drei weitere Gerichts-Instanzen durchläuft und in den meisten Fällen zur Verurteilung der Blockierer und Blockiererinnen führt. Auch diejenigen, die die Aufrufe zu den beiden letzten Blockaden unterzeichnen, bekommen ein Strafverfahren. Manche gehen für ihren Zivilen Ungehorsam ins Gefängnis. Andere zahlen die ihnen auferlegten Geldstrafen.

1996, fast zehn Jahre danach, werden durch höchstrichterliche Entscheidung des BGH Sitzblockaden gegen die atomare Rüstung nicht mehr als gewaltsame Nötigung eingestuft und die Verurteilten rückwirkend freigesprochen und entschädigt.

Wie geht es weiter mit der Friedensarbeit im Hunsrück...

Der Friedensacker wird umgestaltet: Drei Kreuze bleiben zur Erinnerung und Mahnung. Die Friedensbewegung mischt sich weiterhin ein, zum Beispiel durch die Initiative „Frieden am Golf“, durch die Beherbergung von Flüchtlingsfamilien aus Bosnien, oder auch in die Diskussion um die Konversion von militärischen Einrichtungen. Weiterhin gibt es Informationsveranstaltungen, Treffen und Mahnwachen zu aktuellen Entwicklungen. So zum Nahostkonflikt, zu den Atomwaffen in der Welt und zu den wirtschaftlichen Zusammenhängen von Rüstung und Krieg.